Die “Kolowrat-Hochzeit” von 1580:

Bringen wir sie zum Leben!

Veronika Sandbichler

Wenn ein Mann und eine Frau sich verlieben 

When A Man Loves A Woman via freemidi.org

… ist das zunächst ein intimer Moment.

Wenn sie dann früher oder später heiraten, wird das Private offiziell.

Mendelssohn's Hochzeitsmarsch via orangefreesounds.com

Dies gilt im späten 16. Jahrhundert vor allem dann, wenn Braut und Bräutigam Höflinge eines ambitionierten Habsburger Fürsten und dessen Frau sind.

Das war bei einem gewissen Kolowrat und seiner geliebten Katharina der Fall, deren Hochzeit 1580 in Innsbruck gefeiert wurde. 

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An diesem großen Fest nahmen viele berühmte Personen teil und noch über 200 Jahre später berichtet dazu eine Chronik zur Geschichte der Stadt Innsbruck:

Geschichte und Denkwürdigkeiten der Stadt Innsbruck und der umliegenden Gegend. 1: ... von den ältesten Zeiten bis zur Erlöschung der österreichisch-tirolischen Linie mit Erzherzog Sigmund Franz : Mit einer illuminirten Karte, Franz Carl Zoller, Innsbruck : Wagner, 1816

“Prächtige Fastnachts-Lustbarkeiten in der Neustadt und fürstlichen Burg Innsbruck.”

“Die ausführliche Beschreibung hievon wird im Schloss Ambras in einem besondern Buche verwahrt.”

Initiator der „Lustbarkeiten“ war der in Innsbruck residierende Tiroler Landesfürst Erzherzog Ferdinand II. von Österreich.

Die Hochzeit seines Kämmerers Kolowrat nahm er zum Anlass, ein spektakuläres höfisches Turnier zu veranstalten, ...

Erzherzog Ferdinand
Seine Frau Philippine Welser

das er seiner geliebten Ehefrau Philippine Welser widmete – wie die Chronik berichtet.

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts wurden allegorische Turniere, die in eine Rahmenhandlung eingebettet waren, populär, und Erzherzog Ferdinand war ein besonderer Liebhaber solcher Veranstaltungen …

… wie sein Urgroßvater Kaiser Maximilian I., der sogenannte „letzte Ritter“.

Ferdinand liebte es, sich für diese Veranstaltungen ein aufwendiges allegorisches Festprogramm auszudenken.

Ferdinand's great-grandfather, Emperor Maximilian I

... Seine Gedanken begannen zu kreisen: ...

Ferdinand selbst wollte dabei die wichtigste Rolle spielen. Seine eigenen idealisierten Qualitäten, Fähigkeiten und Heldentaten standen im Vordergrund.

Zudem sollte jedes einzelne Element des Fests beeindrucken und

höher,

länger,

stärker sein

 – um das Motto der Olympischen Spiele zu variieren.

So hatte es sein Urgroßvater vorgelebt, und der Urenkel wollte ihn noch übertrumpfen.

Maximilian I. hatte einige Jahrzehnte zuvor seiner Macht durch die monumentalen Druckwerke Ehrenpforte und Triumphzug idealisierten Ausdruck verliehen. Aber was der Kaiser einst nur in gedruckten Bildern erzählt hatte, brachte sein Urenkel nun für die Zuschauer tatsächlich auf die Bühne der Stadt Innsbruck.

Noch heute bewundern wir ähnliche öffentliche Inszenierungen, etwa bei der Eröffnung Olympischer Spiele oder während des Karnevals.

Fernando Frazão/Agência Brasil, Rio de Janeiro - Cerimônia de abertura dos Jogos Olímpicos Rio 2016 no Estádio do Maracanã. via Wikimedia veröffentlicht unter der Creative Commons License
Sergio Luiz, Carnival in Rio de Janeiro via Wikimedia veröffentlicht unter der Creative Commons License

Doch auch die Aufzüge zu den Turnieren der Kolowrat-Hochzeit wurden als Drucke, in prächtig kolorierten Kupferstichen, festgehalten.

“Ich, Sigmund Elsässer, Maler, war es, der die Kupferstiche ausgeführt hat.“

Von 1579 bis 1587 war Sigmund Elsässer nachweislich als Hofmaler in Innsbruck tätig.

Die Grafiken galten wegen ihrer fein geführten Linien lange Zeit als kolorierte Federzeichnungen, obwohl es sich um Kupferstiche handelt, die aufwendig handkoloriert wurden.

Die künstlerische Qualität Elsässers ist zwar nicht mit jener der Meister des Triumphzugs Kaiser Maximilians I. – Dürer, Altdorfer oder Burgkmair – zu vergleichen. Dennoch beeindruckt die Kolowrat-Hochzeit, neben ihrem hohen dokumentarischen Wert, durch Originalität und sorgfältige Ausführung.

Blick in die Kunst- und Wunderkammer Schloss Ambras Innsbruck

Das prächtig illustrierte Festbuch ist Teil der berühmten Kunst- und Wunderkammer in Schloss Ambras, ...

… wo Erzherzog Ferdinand alle Arten von bemerkenswerten Gegenständen untergebracht hat. Die heimischen und exotischen Naturprodukte und Schöpfungen menschlicher Handwerkskunst repräsentieren dabei die ganze Welt. Teile der Sammlungen sind heute im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen.

Schloss Ambras Innsbruck

Ein großer Teil ist jedoch in Schloss Ambras erhalten geblieben, an jenem Ort, wo Ferdinand sein eigenes „Museum“ schuf.

Und so wird auch dieses Festbuch noch immer dort aufbewahrt.

Im Nachlassinventar von 1596 ist die Kolowrat-Hochzeit in Form von zwei Büchern und einer Rolle genannt.

Werfen wir nun einen genaueren Blick in das Original, um mehr über diese außergewöhnliche Veranstaltung zu erfahren, deren Anlass die Hochzeit des Höflings Kolowrat war.

Ringrennen

“Wir Ferdinand von Gottes Gnaden Ertzherzog zu Österreich […] verkünden, dass, wie es Brauch ist in der Fastnachtzeit und weil auch eine Hochzeit gehalten wird, wir eine ritterliche Übung und ein adeliges Ringelrennen in Innsbruck abhalten …”

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Die Regeln für das erste Turnier Ringelrennen sind in 37 Artikeln festgelegt. 

Neben der Anzahl der Durchläufe sind auch der Gebrauch der jeweiligen Waffen, die Verkleidung und schließlich die Preise, die der Sieger verliehen bekommt, aufgelistet.
Die Teilnehmer waren Adelige vom Hof Erzherzog Ferdinands II., darunter auch der Bräutigam Kolowrat. Sie traten in Verkleidung auf und sind an ihren Wappen zu erkennen.

Die „Wahrhaffte Beschreibung und Abcontrafectung“ bezeichnet Ferdinand als Autor des Festprogramms: 

Er habe aus „eigenem fürstlichen Sinn und Nachdenken [...] kunstreichen Malern, Bildhauern und andern Künstlern“ Anweisungen für ein raffiniertes fürstliches Ringelrennen und ein Freiturnier gegeben.

Vier Jahreszeiten & Elemente

Die adeligen Herren ziehen auf „wunderbarlichen Tieren und Triumphwägen“ als antike Götter oder Helden, personifizierte Jahreszeiten und Elemente auf die Turnierbahn ein.

Karl von Burgau, der zweitgeborene Sohn Erzherzog Ferdinands II. und seiner ersten Frau Philippine Welser, stellt hier den auf einer siebenköpfigen Hydra reitenden Herkules dar.

Jupiter

Während Erzherzog Ferdinand selbst im dritten Aufzug als Jupiter erscheint, als höchster aller römischen Gottheiten, auf einem von drei Adlern gezogenen, mit kostbarem Blattgold verzierten Baldachinwagen.

Es scheint kein Zweifel daran zu bestehen, dass er seine Macht und Autorität direkt von Jupiter ableitet und damit auch die Tugenden dieser Gottheit – gerecht zu sein und als oberster „Himmelsvater“ auch fromm – als seine eigenen beansprucht.

Mit diesen Kostümierungen bezieht sich Erzherzog Ferdinand zudem auf seine persönliche Familiensituation:

Karls Mutter, Philippine Welser, entstammte der Augsburger Kaufmannsfamilie der Welser, weshalb ihr Sohn Karl von der fürstlichen Nachfolge ausgeschlossen war.

Die Rangunterschiede zwischen Vater und Sohn werden so auf eine mythologische Ebene übertragen.

Herkules war der Sohn des unsterblichen Gottes Jupiter und der sterblichen Alkmene, schaffte es aber, aufgrund seiner Heldentaten in den Götterhimmel aufzusteigen – eine perfekte Rolle für Karl, die dieser nun zumindest vor der fiktiven Kulisse eines von seinem eigenen Vater inszenierten Hoffestes öffentlich spielen konnte.

Die ovalen Medaillons oberhalb des Festwagen Jupiters zeigen unter anderem Philemon und Baucis.

Sie galten als das Idealpaar der antiken Mythologie und sind als Anspielung auf das zukünftige Glück des Brautpaares zu verstehen.

Zwei weitere Medaillons zeigen die Versammlung der Götter und den Kampf der Götter gegen die Titanen – Hinweise auf die Vorherrschaft Jupiters und die Macht der olympischen Götter. Dann trifft ein weiterer bedeutender Festgast ein: Aeneas auf einer Galeere.

Aeneas auf der Galeere

Aeneas, Stammvater der Römer, der gerade in Italien an Land gegangen ist, hat erfahren, dass in Innsbruck ein großes Turnier stattfinden soll, an dem er mit seinen Gefährten gerne teilnehmen würde. In die Rolle des Aeneas schlüpft Graf Wilhelm von Zimmern. Auf der Galeere gibt es einen pyrotechnischen Effekt: Feuer und Rauch quellen aus einer Maske am Bug.

Weitere Sensationen bietet das darauffolgende Bild mit den Strophadischen Inseln, Heimat wilder Tiere und der gefürchteten Harpyien, geflügelter Bestien mit weiblichen Gesichtszügen.

Außerdem wird oberhalb ein Feuerwerk gezündet, um den Anschein zu erwecken, dass von der Burg Kanonen abgefeuert werden.

Venus & Amor

Auch die Göttin der Liebe, Venus (verkörpert von Paul Zernitz), besteht darauf, ihren Sohn Amor zum Hochzeitsturnier in Innsbruck zu begleiten.

Die Klagen

Schließlich treten verschiedene Nationen, Bruderschaften und Berufe in 13 einzelnen Fußkämpfen gegeneinander an, die als sogenannte „Klagen“ ausgetragen wurden.

Moor's lawsuit
Hunter's lawsuit

Jeder „Kläger“ tritt vor die Richter, um seinen Fall vorzutragen, und die Richter entscheiden dann über die jeweiligen Regeln des Kampfes („Antwort“) und fällen ein Urteil („Urthail“).

Hat das alles in Wirklichkeit so stattgefunden, wie die Bilder uns glauben machen wollen?

Können Sie sich vorstellen, dass echte Adler einen Wagen ziehen oder echte Leoparden, die auf lautlosen Katzenpfoten durch die Stadt ziehen, echte Krokodile, Furien, Riesen und andere fantastische Wesen Teil des Spektakels sind?

Selbstverständlich nicht!

Bei der realen Veranstaltung haben die üblichen Zugtiere wie Esel und Pferde – und sogar Menschen – entsprechend verkleidet diese Rollen übernommen.

Auch andere Elemente erweisen sich als Illusion: Der Triumphwagen der Venus in Form einer Muschel ist höchstwahrscheinlich aus leicht herstellbaren, theatertypischen Dekorationsmaterialien wie Holz und Pappmaché hergestellt worden.

Die Inschrift oben deutet an, dass die Muschel von zwei Männern gezogen wird, die sich in den Fischkörpern verstecken.

“zwen grosse Visch mit silbrinen Schüppen/darinnen zwen Mann”

Dennoch vermitteln die Darstellungen nicht zuletzt durch ihre Anordnung den Eindruck von Realität.

Zudem bleiben mithilfe der Bilder und Texte die naturgemäß vergänglichen Ereignisse des Festzuges und der Turniere sowie die damit transportierten Botschaften und ihre Bedeutung für die Nachwelt erhalten.

Schrift- und Bildrollen galten zwar bereits zur Zeit von Erzherzog Ferdinand als veraltet.

 Die Wahl dieses Mediums spiegelt jedoch den antikisierenden Inhalt der Festzüge wider. Die linear-additive Abfolge der Einzelbilder fügt sich zu einer für den Betrachter räumlich und zeitlich erlebbaren Gesamtdarstellung eines „bewegten“ Ereignisses.

Und heute? Wir – die Nachwelt – sind daran interessiert, die Inhalte lebendig werden zu lassen und das in den historischen Dokumenten Verborgene wieder sichtbar zu machen: Festteilnehmer, die sich als allegorische und mythologische Figuren verkleiden, Menschen oder Tiere, die in die Rollen exotischer und fantastischer Wesen schlüpfen, oder Festwägen und Maschinen, die pyrotechnische Spektakel und andere Show-Effekte bieten.

Alle hier gezeigten Personen haben wirklich gelebt, und alle Ereignisse haben tatsächlich stattgefunden. Ein Teil dieser Geschichte muss aber im Dunkeln bleiben. Und so kommt es, dass wir uns den Hofkämmerer Kolowrat und seine Braut Katharina, deren Hochzeit ja der Anlass der Festivitäten war, nur schemenhaft vorstellen können, ihren Zeremonienmeister Erzherzog Ferdinand von Österreich jedoch umso klarer erkennen können.

„Die einen bleiben im Schatten,
die anderen im Licht.“

Aus konservatorischer Sicht gehören Grafiken wie diese zu den empfindlichsten Objekten in Museen.

Sie müssen vor Licht geschützt werden und können nicht permanent ausgestellt werden. Unsere animierte Rekonstruktion erlaubt es aber, tief in die Welt der Turnier- und Festkultur des 16. Jahrhunderts einzutauchen, ohne das Original strapazieren zu müssen. Wahrscheinlich liegt hier die Zukunft von Ausstellungen und der museumspädagogischen Vermittlungsarbeit.

Erzherzog Ferdinand hat als Liebhaber und Förderer der Festkultur des 16. Jahrhunderts viel auf sich genommen, um diese Veranstaltung auszurichten und zu dokumentieren. Uns dieses Erbes würdig zu erweisen und es zu bewahren, liegt nun an uns. Und dafür sollten wir alle kreativen und technischen Möglichkeiten, die das 21. Jahrhundert bietet, nutzen.

Gabriel Bodenehr der Ältere nach Matthäus Merian, Die Ertzherzogliche Haupt und Residenz Statt Innsbrcuk, Im Tyrol, Augsburg, 1704-1720. Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek, Sign. FB 7089. © Tiroler Landesmuseen

Alle übrigen Bilder: © KHM-Museumsverband

Dank:
Spezieller Dank ergeht an Daniela Franke, Carmen González-Román, Nicoletta Hernandez,  Rudi Risatti und Andrea Sommer-Mathis.

Titel: Die „Kolowrat-Hochzeit“ von 1580: Bringen wir sie zum Leben!

Autorin: Veronika Sandbichler (Schloss Ambras Innsbruck)

Web Design: Kunsthistorisches Museum – Visuelle Medien