Tanz in der Trattoria von Jan Miel.

Komödianten unter sich

Claudia Koch

Die 
Gaststätte als Ort des Feierns?

Das Gemälde von Jan Miel zeigt eine fröhliche Gesellschaft, die sich bei Musik, Tanz und Wein im Hinterhof einer römischen Taverne vergnügt. Der Großteil der dargestellten Personen ist kostümiert. Wer sind sie und was passiert hier? Wird ein Maskenfest gefeiert? Oder wird für ein Theaterstück geprobt?
ItalianisanteGenremalerei Scaramuccia und ColombinaArlecchinoDer gelehrte Dottore und TrivellinoDie VerliebtenDie DienerEin Ausblick im italianisanten Stil
Jan Miel, Tanz in der Trattoria, um 1650. Öl auf Leinwand, 51 x 66,5 cm. Wien, Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien.

Ein Ausblick im italiani­santen Stil

Die Öffnung in der Hofmauer gibt den Blick in eine weite, sonnendurchflutete Landschaft frei, deren Formen im Dunst der flirrenden Hitze verschwimmen. Jan Miel gestaltet den Landschaftsausblick nach den Kriterien eines neues Stils, den niederländische Künstler auf ihren Reisen nach Italien entwickeln. Später wird dafür der Begriff italianisante Landschaftsmalerei eingeführt.

Amorosi - Die Verliebten

Der innig-verträumte Blick und die enge Umarmung lassen den Schluss zu, dass das junge Paar verliebt ist. Im Unterschied zu den meisten der hier dargestellten Figuren tragen die beiden keine Masken und Kostüme, sie sind statt dessen modisch gekleidet und hell geschminkt.

Mit einem Tamburin begleitet die Frau das Gitarrenspiel des Musikers und scheint dazu mit dem rechten Fuß vehement den Takt zu klopfen. Sie ähnelt in ihrer gesamten Erscheinung

der Figur der Franceschina, wie sie Jaques Callot in der druckgrafischen Serie Balli di Sfessania von 1623 darstellt. Diese Serie erfreute sich großer Popularität und internationaler Verbreitung.

Die jungen Verliebten, im Italienischen die Amorosi oder die Innamorati, sind als Ausgangspunkt von allerlei komödiantischen Liebesintrigen und Missverständnisse unverzichtbare Figuren der italienischen Komödie, der Commedia dell'arte.

Zanni - Die Diener

Die Zanni sind Dienerfiguren in der Commedia dellˈarte und repräsentieren den niederen Stand. Ihre bäuerliche Herkunft ist an ihrer ärmlichen und zum Teil mit Flicken besetzten Kleidung abzulesen. Im Laufe der Zeit hat sich eine große Gruppe an Dienerfiguren unterschiedlicher regionaler Prägungen entwickelt.

Der Begriff Zanni ist eine Verkleinerungsform von Giovanni, dessen deutsches Äuqivalent Johann beziehungsweise Hans ist. Es handelt sich dabei um eine komische Figur ähnlich dem deutschen Hanswurst.

Das Figurenrepertoire der Commedia dellˈarte ist grundsätzlich paarweise angelegt. In der Darstellung von Jan Miel finden sich daher ebenfalls zwei Zanni. Ihr unterschiedliches Aussehen lässt auf verschiedene, vielleicht sogar gegensätzliche Charaktere schließen. Die Bandbreite reicht vom schlauen, gerissenen Schlitzohr bis zum dümmlichen Tölpel. In diesem Fall scheint wohl jener Zanni mit der Tabakpfeife der schlauere zu sein. Mit seiner dickbäuchigen Figur und dem hohen Hut ähnelt er den Darstellungen Pulcinellas.

Der gelehrte Dottore und Trivellino

1 Der Herr in schwarzer Kleidung mit weißem Kragen und dem breit­krempigen Hut markiert das Zentrum der Darstel­lung. Aufgrund seiner sitzenden Position und dem verschat­teten Gesicht ist er relativ unauffällig. Er trägt das Kostüm des gelehrten Dottore, der wie die meisten der hier dargestellten Figuren zum Repertoire der Commedia dellˈarte zählt.

Ein weiteres wichtiges Erkennungs­merkmal dieser Kostümfigur ist die schwarze Gesichtsmaske. Denn laut Legende wurde dem Dottore in einem Disput einmal ein Tintenfass an die Stirn geworfen, dessen Inhalt sich über seiner Stirn und Nase entleerte. Unüblicherweise trägt der Darsteller im vorliegen­den Bild keine schwarze, sondern eine braune Halbmaske mit Schnurrbart. Obwohl die Maske farblich nicht der Kostüm­tradition entspricht, so ist es jedoch ihre auf Stirn und Nase reduzierte Form.

Als Figur der Commedia dellˈarte gehört der Dottore zu den Alten. Sein Pendant ist der venezianische Kaufmann Pantalone, der im Charakter geizig ist und lüstern den Dienstmädchen hinterherjagt. Gewöhnlich ist er mit einem roten Kostüm und brauner Maske charakterisiert. In dieser Darstellung fehlt Pantalone jedoch. Eventuell vereint sich hier in der Figur des Dottore auch jene des Pantalone, worauf auch dessen charakteristische braune Maske verweist.

2 Der gelehrte Dottore prostet dem Musiker der Truppe zu, der vielleicht an Stelle des fehlenden Pantalone als Spielpartner agiert. Als Musiker ist dieser jedoch zur Gruppe der Diener zugehörig. Mit seinen Quasten und den roten Zierelementen ähnelt er unter all den zahlreichen Zanni am ehesten der Figur des Trivellino.

Arlecchino

Der Arlecchino ist wohl die bekannteste Figur unter den Dienern. Er ist an seiner bunten Kleidung, die sich aus länglichen bunten Streifen zusammensetzt, erkennbar. Im Laufe der Zeit hat sich aus dem zerlumpten und reich geflickten Harlekinsgewand allmählich ein mit Rautenmuster besetztes Kostüm entwickelt. Im vorliegenden Gemälde ähnelt dieses Kostüm jedoch vielmehr der Uniform eines Schweizergardisten.

Auch wenn sich Jan Miel tatsächlich an der Tracht der Schweizergardisten orientiert haben mag, steht sein Arlecchino doch eher der Figur des mittelalterlichen Spielmannes und Narren mit streifigem Gewand näher, wie sie nicht nur im deutschen, sondern auch im flämisch-niederländischen Kulturkreis, der Heimat des Künstlers, verbreitet war. In seiner Ausformung ist das Kostüm von einem von Fransen besetzten und Tierfell imitierenden Kleidungstück früherer Zeit abzuleiten.

Scaramuccia und Colombina

1 Der Mann ist komplett in Schwarz gekleidet und trägt eine ebensolch schwarze Maske. Es ist vermutlich Scaramuccia, eine Sonderform des Capitano, des eitlen Hauptmannes. Dieser ist ein Draufgänger im Wort, doch mutlos in der Tat. Die Figur wird mit den Soldaten der spanischen Besatzung in Verbindung gebracht. Im vorliegenden Fall erinnern der weite Gewandschnitt und die quastenförmigen Zierelemente kaum noch an ihre militärische Herkunft, sondern verleihen ihr einen komischen Charakter. Neben den Masken und Kostümen sind die Figuren der Commedia dell‘arte außerdem anhand ihrer jeweiligen Sprache und ihres individuellen Gebärdenspiels erkennbar. Es überrascht daher wenig, dass Scaramuccias Pose in Miels Tanz in der Trattoria mit anderen Darstellungen vergleichbar ist.

2 Scaramuccias Tanzpartnerin ist als Servetta, eine Dienerin von niederem Stand, entsprechend einfach gekleidet. Im Unterschied zu den übrigen paarweise angelegten Figuren tritt sie in den Stücken der Commedia dellˈarte häufig als Einzelfigur auf. Die bekannteste Figur unter all den Mägden und Köchinnen ist Colombina. Wie alle weiblichen Rollen der Komödie dient auch sie vorrangig als Lustobjekt männlicher Begierden.

Das Paar tanzt ausgelassen zu den Klängen der Musik. Welcher Tanz wird hier zum Besten gegeben?

Colombina und Scaramuccia tanzen Saltarello. Dies ist ein Hüpftanz (saltare = hüpfen), der in Italien seit dem späten Mittelalter bekannt und im 17. Jahrhundert besonders in Mittelitalien beliebt ist.

Dieser Tanz wird schnell und mit steigendem Tempo im Dreiertakt getanzt. Die genaue Schrittfolge ist nicht bekannt und nur über Bildquellen wie Jan Miels Gemälde dokumentiert.

Alltagsleben in der römischen Taverne

Der Wirt bringt seinem Gast, der sich eben an einem Teller Pasta labt, Würstchen am Bratspieß. Der Ziehbrunnen mit einem davor ausgebreiteten Stillleben an Küchenutensilien und das Hündchen liefern die malerische Kulisse für diese Alltagszene in einer römischen Taverne, die den Gestaltungskriterien der zeitgenössischen Genremalerei folgt.

Jan Miel (1599–1664) – ein Flame in Rom

Jan Miels Anfänge liegen im Dunkeln. Die von Biografen kolportierte Lehrzeit bei Anthonis van Dyck ist wenig glaubwürdig. Der Zeitgenosse von Peter Paul Rubens wird als Künstler erstmals in den 1630er Jahren in Rom fassbar, wo er ab 1636 dokumentiert ist. In Rom schließt sich der flämische Maler der niederländischen Künstlerkolonie Schildersbent („Malerbande“) an, die 1622 gegründet wurde. Vom Familiennamen abgeleitet – „miele“ heißt auf italienisch „Honig“ – erhält er von seinen Bentgenossen den Beinamen Honingh-Bie, „Honig-Biene“. Anfänglich widmet er sich der italianisanten Genremalerei im Stil von Pieter van Laer.

Miels Carnevalate, zu denen auch der Tanz in der Trattoria zählt, gelten als eigenständiger Beitrag zu dieser damals neuen Gattung. Später wandelt er sich unter dem Einfluss der italienischen Malerei und besonders unter jener des akademischen Malers Andrea Sacchi zum Historienmaler.

1647 wird Jan Miel Mitglied der Konfraternität San Giuliano Fiamminghi, 1648 der örtlichen Lucas-Gilde und 1650 der Virtuosi al Pantheon. Nach Studienreisen innerhalb Italiens im Jahr 1654 übersiedelt Miel 1659 an den Hof von Herzog Carlo Emanuele II. von Savoyen nach Turin und wird von diesem zum Hofmaler ernannt. Er kehrt nie wieder in seine Heimat zurück und stirbt 1664 in Turin.

Jan Miel, Karneval auf der Piazza Colonna in Rom, 1645. Öl auf Leinwand, 88,9 x 175,9 cm, Hartford, Wadsworth Atheneum, Museum of Art

Miels Carnevalate als Einblicke in den römischen Karneval …

Der Tanz in der Trattoria gehört zu einer Werkgruppe von Jan Miel, die maskierte und kostümierte Figuren auf Straßen und Plätzen zeigen. Sie sind im Zeitraum von 1648 bis 1653 während eines längeren Aufenthalts des Künstlers in Rom entstanden und werden mit dem römischen Karneval in Verbindung gebracht. Kern dieser Karnevalsdarstellungen, der sogenannten Carnevalate,

ist ein großformatiges Gemälde, das 1645 im Auftrag des Genueser Adeligen Marchese Tommaso Raggi (1595/96-1679) entsteht. Dieses hält anschaulich spezifische Bräuche des Karnevals fest, wie zum Beispiel das symbolische Hochziehen der Narren am Galgen. Gibt es auch im Tanz in der Trattoria und in den anderen Bildern der Gruppe eindeutige Hinweise auf den Karneval?

Jan Miels Carnevalate präsentieren maskierte und kostümierte Figurengruppen. Bei eingehender Betrachtung zeigt sich, dass es sich stets um dasselbe Figurenrepertoire handelt. Im Unterschied zur großformatigen Darstellung Karneval auf der Piazza Colonna in Rom für den Genueser Adeligen Marchese Raggi sind in den Bildern kleineren Formats sowohl die Anzahl der Figuren, als auch die Vielfalt der Masken und Kostüme deutlich reduziert. Jan Miel konzentriert sich darin auf eine bestimmte Figurengruppe, die er, wie es scheint, aus Raggis panoramahafter Ansicht des römischen Karnevals herauslöst. Es ist jene Gruppe auf dem Wagen links der Säule.  Dabei handelt es sich nicht um gewöhnliche Karnevalsnarren, sondern vielmehr um Schauspieler.

Seit dem 16. Jahrhundert wurden auf den Straßen und Plätzen italienischer Städte Stegreif-Komödien zur Unterhaltung des Volkes aufgeführt. Die Darsteller, professionelle Schauspieler und auch Schauspielerinnen, sind in festen Kompagnien miteinander verbunden, die als fahrendes Volk von Ort zu Ort ziehen. In Miels Carnevalate ist meist jener magische Augenblick eingefangen, in dem sie auf engen Straßen oder weiten Plätzen vorfahren und durch Gesten, Gebärden und Rufe die Aufmerksamkeit von Bewohnern und Passanten auf sich ziehen. Dabei dient der von Ochsen gezogene Wagen nicht nur als Transportmittel, sondern gleichzeitig auch als Bühne.

Während seines langen Romaufenthaltes ist der flämische Maler zweifellos verschiedenen Theaterkompagnien begegnet, die die Commedia dellˈarte pflegten. Auch im Tanz in der Trattoria der Gemäldegalerie der Wiener Akademie sind hauptsächlich Figuren der italienischen Stegreifbühne vereint. Diese Darstellung unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den übrigen Gemälden der Gruppe: Die Kompagnie ist nämlich im Hof einer Gaststätte und fernab von jeglicher Öffentlichkeit bei Musik, Tanz und Wein dargestellt. Proben sie ihr nächstes Stück? Entspannen sie nach einer weiten Reise oder feiern sie nach einer gelungenen Aufführung? Was meinen Sie?

David Esrig, Commedia dell‘arte. Eine Bildgeschichte der Kunst des Spektakels. Delphi, Nördlingen 1985

Claudia Koch, „Tanz in der Trattoria“, in: Sabine Haag und Gudrun Swoboda, Feste Feiern. Kunsthistorisches Museum, Wien 2016, S. 275

Thomas Kren, Jan Miel (1599-1664). A Flemish painter in Rome. Ph. D. Yale University 1978, Photocopy (typescript), Ann Arbor, Michigan 1989

David A. Levine und Ekkehard Mai, I Bamboccianti. Niederländische Malerrebellen im Rom des Barock. Electa, Mailand 1991

Rudi Risatti (Hrsg.), Groteske Komödie in den Zeichnungen des Lodovico Ottavio Burnacini. Wien 2019

Renate Trnek, Die holländischen Gemälde des 17. Jahrhunderts in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 1997

Renate Trnek, Traum vom Süden. Die Niederländer malen Italien. Hatje Cantz, Ostfildern, Wien 2007

Titel: Tanz in der Trattoria von Jan Miel. Komödianten unter sich

Autor: Claudia Koch (Wien, Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste)

Web Design: Kunsthistorisches Museum – Visual Media, Wien

Englische Übersetzung: Claudia Koch und Astrid Lehner

Bildrechte: London, The Royal Collection Trust; Madrid, Museo Nacional del Prado; Middletown, Open Access Image from the Davison Art Center, Wesleyan University (Foto: M. Johnston); Rom, Gallerie Nazionali di Arte Antica. Palazzo Barberini (courtesy of the Gallerie Nazionali di Arte Antica, MIBACT -Bibliotheca Hertziana, Istituto Max Planck forthe Histoy of Art/Enrico Fontolan); Wien, Gemäldegalerie und Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste; Wien, Kunsthistorisches Museum and Theatermuseum; Vaduz-Wien, LIECHTENSTEIN. The Princely Collections;

Musik: Simone Vallerotonda & I Bassifondi (Hieronimus Kapsberger "Preludio e Sfessania")